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Bahnhof Lette
Eisenbahnmuseum
Eisenbahnmuseum
Archäologie und Eisenbahn, eine in Deutschland bislang unbekannte Kombination von Wissen und Tätigkeiten. Die erste Premiere auf diesem Gebiet fand bzw. findet zur Zeit im westfälischen Eggegebirge bei Altenbeken statt, wo Archäologen dabei sind, die Überreste eine Großbaustelle sichten, die vor über 170 Jahren als Investitionsruine aufgegegeben wurde. Zur besseren Orientierung zunächst ein Link auf das OpenTopoMap-Kartenwerk:
Es handelt sich bei bei dem untersuchten Gebiet um eine Baustelle für einen Eisenbahntunnel, der damalige Bauherr war ein Unternehmen mit dem sperrigen Namen "Cöln-Minden-Thüringer Verbindungsbahngesellschaft", dass sich 1846 in Paderborn gebildet und sich zum Ziel gesetzt hatte, die bereits im Bau befindliche Cöln-Mindener Eisenbahn (CME) mit Mitteldeutschland zu verbinden. Als Anschlusspunkt an die CME war der projektierte Bahnhof von Hamm vorgesehen und als vorläufiger Zielpunkt die hessische Stadt Kassel. Das Grundkapital dieser Aktiengesellschaft sollte 5,5 Millionen preußische Taler betragen, die in mehreren Tranchen von den Investoren aufzubringen waren. Die erste Tranche zu 550.000 Talern war zügig zusammengekommen, der Bau der Strecke konnte also beginnen. Der Streckenbau von Hamm über Soest und Lippstadt bis Paderborn bereitete wegen des ebenen Geländes keine Probleme, anders standen die Dinge jedoch im weiteren Verlauf östlich von Paderborn. Die Planungen sahen vor, in Paderborn einen Kopfbahnhof zu errichten; die Strecke sollte dann die Stadt in westlicher Richtung verlassen, um dann über die Flußtäler von Alme, Altenau und Sauer die Passhöhe des Eggegebirges bei Willebadessen zu erreichen. Dort sollte ein etwa 550 Meter langer Tunnel den Eggekamm unterfahren; anschließend schwenkte die Strecke nach Süden in Richtung Warburg und Kassel.
Karte des geplanten Streckenverlaufes
Die Arbeiten an dem Tunnel als schwierigstes Gewerk der geplanten Strecke begannen am 24. Februar 1846, sie mussten aber schon im Spätsommer 1848 endgültig eingestellt werden, als im Gefolge der Revolution von 1848 die nächste Tranche der Investoren ausblieb. Die Cöln-Minden-Thüringer Verbindungsbahngesellschaft" löste sich auf Grund des Kapitalmangels auf und die Baustelle blieb unfertig in der Landschaft zurück. Wenige Jahre später konstituierte sich die "Königlich preußisch-westphälische Staatseisenbahn", welche die Egge bei Altenbeken überqueren sollte und somit westlich des Gebirgskammes eine völlig andere Streckenführung wählte. Neben der umständlichen Trassenführung mit einem Kopfbahnhof in Paderborn war es wohl auch der technische Fortschritt in Form leistungsfähigerer Lokomotiven, der die Bahnbauer zu einer Überarbeitung ihrer ursprünglichen Pläne bewog. Zur Sicherung der Baustelle wurden die bereits fertig gestellten Teile des Tunnels durch Sprengungen verschüttet. Die Tunnelbaustelle blieb bis zum heutigen Tage sich selbst überlassen, irgendwann bürgerte sich der Begriff "Alte Eisenbahn" für das Gebiet ein.
Der Kartenausschnitt aus der topografischen Karte im Maßstab 1:5000 zeigt schon die ersten Geländedetails der Baustelle
Im digitalen Geländemodell zeigen sich noch mehr Einzelheiten der Baustelle. Man erkennt die beiden Voreinschnitte zum Tunnel und die Überreste dreier Schächte im Bereich der Tunnelachse
Im Jahre 2011 war der Autor in diesem Bereich unterwegs; bei dieser Gelegenheit sind auch einige Fotos entstanden.
Hinweistafel an der "Alten Eisenbahn"
Überrest des westlichen Voreinschnittes vor dem eigentlichen Tunnelportal
Wassergefüllter Beginn des westlichen Voreinschnittes
Noch vorhandener Schachtkopf eines der drei Zwischenangriffe
Nach über 170 Jahren sind also die Überreste der aufgegeben Großbaustelle noch immer im Gelände zu erkennen. Weiterhin ist die Vorgehensweise der Bauleute immer noch an Ort und Stelle sichtbar: Der Tunnel sollte nicht nur von beiden Enden aus aufgefahren werden, sondern auch von insgesamt drei Zwischenschächten aus, die in der Tunnelachse bis auf die Tunnelsohle abgeteuft wurden. Somit konnte man von insgesamt acht Örtern aus den Richtstollen vortreiben. Weiterhin war für die Tunnelsohle ein Gefälle von 1:200 in östlicher Richtung vorgesehen, damit im späteren Betrieb eindringendes Grundwasser problemlos ans dem Tunnel fließen konnte.
Im maximal 1,5 Meter hohen Richtstollen selbst müssen schwerste Arbeitsbedingungen geherrscht haben. Auf engsten Raum konnten bestenfalls zwei Mineure gleichzeitig tätig sein. Einer führte den meißelförmigen langen Bohrer von Hand im entstehenden Bohrloch, ein zweiter schlug mit einem schweren Hammer auf das andere Ende des Bohrers. Auf diese Weise wurden eine ganze Reihe Bohrlöcher metertief ins Gestein getrieben, die dann mit Schwarzpulver geladen (das wesentlich wirksamere Dynamit gab es damals noch nicht!) und gesprengt wurden. Nach dem Abziehen der Sprenggase musste die Gesteinstrümmer aus dem Stollen ausgeräumt werden und dann wurde wieder für den nächsten Angriff gebohrt. Wenn alles planmäßig verlief, dann traf man sich auf halber Strecke mit dem entgegenkommenden Abbauort.
Auf diese Weise schaffte man etwa 1 Meter Vortrieb pro Tag und Ort (vergleiche Pfläging in der Literaturliste), bei einer Tunnellänge von 550 Metern und insgesamt acht Örtern wäre der komplette Durchschlag des Richtstollens nach etwa 80 Werktagen zu schaffen gewesen. Die Aufweitung des Richtstollens bis auf das fertige Tunnelprofil und die Mauererarbeiten am Tunnelgewölbe sollten im Anschluss an diese Arbeiten erfolgen; hier konnte im Gegensatz zum Vortrieb gleich auf der ganzen Tunnellänge gearbeitet werden.
Dann konnte ich ebenfalls mit Hilfe des digitalen Geländemodells die Überdeckung des geplanten Tunnels ermitteln. Das ist quasi die Höhe des Berges, die der Tunnel unterfahren sollte. Das Ergebnis ist recht ernüchternd:
Der Tunnel unterfährt in maximal 20 Meter Tiefe den Rücken des Eggegebirges; nach heutigen Maßstäben würde man einen einfachen Einschnitt im Gelände anlegen.
Ab 2017 rückte das Gelände der Alten Eisenbahn in den Fokus der Archäologen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe untersuchte im Zusammenarbeit mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Kiel die baulichen Überreste. Da das Gelände seit über 170 Jahren unberührt blieb, ergab sich die einmalige Chance der Untersuchung einer regelrechten archäologischen Zeitkapsel.
Zunächst inspizierten Taucher der Arbeitsgruppe für maritime und limnische Archäologie (AMLA) den gefluteten westlichen Voreinschnitt und nahmen Unterwasservermessungen vor. Ein Vordringen der Taucher in den bereits angearbeiteten Richtstollen war wegen der Sprengungen in der Vergangenheit jedoch nicht möglich.
Diese Untersuchungen und ihre Ergebnisse hatten ein überregionales Presseecho:
Dann wurden im Bereich des östlichen Voreinschnittes von den Studenten der Kieler Universität unter der Anleitung ihrer Lehrer mehrere Gebäudereste ausgegraben. Man fand unter anderem eine Schankwirtschaft für die Baustellenleitung und ihre Besucher sowie ein Gebäude, das wohl der Bauleitung selbst als Unterkunft gedient hat.
Den Plänen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe zufolge sollen die Untersuchungen in den nächsten fortgeführt werden; man erhofft sich dabei Erkenntnisse über die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle.