Alter
Bahnhof Lette
Eisenbahnmuseum
Eisenbahnmuseum
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Es ist geschafft! Bis auf kleine Details ist der alte Schrankenposten 43 im Museumsgarten des Bahnhofs Lette wiedererstanden. Sein Vorbild, das letzte Letteraner Bahnwärterhaus stand an der Strecke Lette-Coesfeld, die Bausubstanz war aber zu schlecht für einen Transfer zum Museum. So wurde der Posten nachgebaut mit großzügiger Unterstützung der Ernsting-Stiftung und vom Schreiner und ehem. Eisenbahner Heinrich Horstmöller sowie Eigenleistungen der Eisenbahnfreunde. Nicht viele Museen verfügen über einen eigenen Schrankenposten. Der Bahnhof Lette besitzt nun sogar ein Wärterhaus in Fachwerkbauweise mit originalgetreuer Inneneinrichtung. Vor dem Zeitalter der automatischen Blinklicht- und Schrankenanlagen mußten Wärter die Barrieren herunterkurbeln, um Kollisionen mit dem wachsenden Verkehr auf schienengleichen Überwegen zu vermeiden. Nur ein einziger der vier Streckenposten (40, 41, 43, 44) in Lette blieb von der Zerstörung verschont als Beispiel für die in Westfalen selten gewordene Anlage einer ehemals typischen mechanischen Schrankenanlage mit äußerem Kurbelgehäuse. Er legt Zeugnis ab für die verkehrsgeschichtliche Entwicklung der Eisenbahn-Sicherungsanlagen und für die Arbeitsbedingungen der Eisenbahner verschiedener Epochen. Die ziegelgemauerten Schrankenposten 40, 41, 44 in der Nähe von Lette wurden bis Dezember 1991 alle abgerissen. Posten 43 aber erstand neu. Nach der Fundamentierung wurde Ende Januar 2002 das Fachwerkgerüst aufgestellt und befestigt, es folgte die Bedachung, die Ausmauerung der Gefache, der Einbau von Fenstern und Tür und die Ausstattung mit originalem Mobiliar.
Seit Inbetriebnahme der Dortmund-Gronau-Enscheder Eisenbahn 1875 mußten Überwege gesichert werden. Nach ersten einfachen Wärterhütten wurden Häuschen errichtet wie Posten 43, der bestimmt seine hundert Jahre hinter sich hat. Jahrzehntelang waren die Schrankenwärter auf den Letteraner Posten 40, 41, 43 und 44, die zur Bahnmeisterei Coesfeld (Westf) gehörten, für die Sicherheit der Eisenbahnreisenden wie der Straßenverkehrsteilnehmer verantwortlich. Bei Dämmerung und Dunkelheit saßen sie bei manchmal flackernder Gas- oder Petroleumbeleuchtung in den kleinen Fachwerk- oder Backsteinhäuschen einsam in Feld oder Wald. Von Zeit zu Zeit schrillten Glocken des Läutewerks, die einen Zug meldeten und seine Fahrtrichtung angaben. Das Läutesignal Lt 1 (einmal lang = 1x10 Kurbelumdrehungen) meldete den vier Letteraner Schrankenposten, daß ein Zug von A nach B fährt, von Lette nach Merfeld; das Läutesignal Lt 2 (zweimal lang = 2x10 Kurbelumdrehungen), daß ein Zug von B nach A fährt, von Lette nach Coesfeld. Falls das Gefahrensignal Lt 3 (dreimal lang = 3x10 Kurbelumdrehungen) gegeben wurde, wußten alle sofort, daß sie jeden Zug anhalten mußten, da Gefahr drohte!
In den Wärterhäuschen sorgte ein Kanonenofen für die nötige Wärme, - wenn genügend Koks, Kohle oder Holz als Brennstoff im Kriechkeller oder im kleinen Schuppen eingelagert war. Manchmal ließen sich vom Dampflokpersonal ein paar Briketts oder Kohlebrocken zusätzlich "organisieren". Die Hausbrandversorgung wurde nach dem Krieg erst langsam besser. Noch immer gab es Kohle nur auf Karten. Rechtzeitig vor der Durchfahrt eines Zuges mußten die Schranken geschlossen werden. Das bedeutete jedesmal ein Hinaustreten bei Wind und Wetter, bei Tag und Nacht, um die Kurbeln zu betätigen, den Führer auf der Lok des durchfahrenden Zuges zu grüßen und ihm zu signalisieren, daß alles in Ordnung ist. Um sich vor Kälte zu schützen, wurde die Dienstmütze aufgesetzt und der schwere schwarze Wintermantel angezogen. Zusätzlichen Schutz boten Handschuhe und schwere Filzstiefel. Mit Besen und Schaufel mußten etwaige Schneeverwehungen beseitigt werden. Zur Innenausstattung der Schrankenposten gehörten ein kleiner Schreibtisch, auf dem der Nachweis "Eintragungen über den Zugverkehr" auflag - jede Zugbewegung muß darin ordnungsgemäß eingetragen werden -, eine kleinere Sammlung von Dienstvorschriften, ein Stuhl, eine Ruhebank, ein Spind, eine Kanne zur Zubereitung von "Muckefuck", Ersatzkaffee oder Tee, und ein Eisenbahn-Wandkalender. An der Wand hing unübersehbar eine große Uhr - alles dreht sich bei der Bahn um die richtige Zeit. Die Fernschreibstelle Coesfeld bekam von der Fernschreibstelle Münster (Sitz der Direktion) gegen 8.00 Uhr die genaue mitteleuropäische Zeit, die mit Sammelruf weitergegeben wurde an die Fahrdienstleiter der nächsten untergeordneten Bahnhöfe. Diese stellten entsprechend der Zeitansage im Bahnhof die "Mutteruhr" richtig und damit die von dieser abhängigen Tochteruhren und trugen die Meldung in das Zugmeldebuch ein. Per Telefon wurde die richtige Zeit an die nächsten Betriebsstellen weitergegeben. Die Schrankenwärter stellten ihre Uhren und trugen die Zeitdurchsage in das Fernsprechbuch wie auch evtl. durchgegebene Sonderzüge in den Merkkalender ein. Jeden Abend wurde eine weißleuchtende Karbidhandlaterne entzündet, die grün und rot abgeblendet werden konnte. Sie mußte ständig während der Besetzungszeit der Betriebsstelle brennen, damit bei Gefahr die Züge durch Lichtsignal angehalten werden konnten. Ölkannen und Fettpressen sorgten bei den Schranken- und Signalanlagen, sowie den Umlenkrollen der Drahtzüge für die nötige Schmierung. Die rotweißen Sh-2-Signalscheiben und die dazugehörigen Petroleum-Signallaternen mußten funktionsbereit sein, z.B. zur Absicherung liegengebliebener Züge; sie konnten jeden Dienstag beim Laternenappell unvorhergesehen durch den Dienstvorsteher auf ihre Betriebsbereitschaft hin geprüft werden. Ihre Funktionsfähigkeit und deren Überprüfung wurde in das Fernsprechbuch eingetragen. Als weitere Signalmittel dienten eine rotweiße Flagge und ein Signalhorn. Werkzeuge für verschiedene Tätigkeiten mußten zur Hand sein, darunter ein Hammer, schwere Schraubenschlüssel, eine Stopfhacke und eine Schottergabel, ein Beil für das Zerkleinern des Feuerholzes und ein Kohleneimer. Notverbindungsstücke für den Fall eines Schienenbruchs und Knallkapseln lagen bereit, die im Notfall auf die Schienen gelegt wurden und durch ihr Explosionsgeräusch Züge zum sofortigen Halt veranlaßten. Ferner lud ein Plumpsklo zu kurzem Verweilen ein...
Außer dem Gebäude des Postens 43 blieben manche Schriftstücke erhalten. So die Dienstanweisung vom 22. Febr. 1934: "Die Scheibensignale und Stocklaternen (Wärtersignale 5 und 6b) sind nicht nur von den Posten auf freier Strecke, sondern auch den Endstellwerken der Bahnhöfe und, wo Endstellwerke fehlen, von den Bahnhöfen jeden Dienstag auf ihre Brauchbarkeit zu prüfen und neben dem Dienstraum probeweise auszustellen." Die Laternen sollten 15 Minuten brennen. Die Dienstvorsteher überwachten die Durchführung. Der Befund war in das Dienstbuch einzutragen. Ein Beispiel für erschwerte Arbeitsbedingungen liegt in Form vieler Vorsichtsbefehle aus dem Jahre 1947 vor. Der Sommer war sehr heiß und trocken, entsprechend hoch die Waldbrandgefahr. So kam es mehrfach vor, daß die Schrankenwärter wegen ausgebrochener Waldbrände nicht auf ihren Posten sein konnten.
Zur Einsparung von Personal wurden alle Posten aufgelassen, am 30. Okt. 1990 als letzter Posten 43. Mindestens in einem der alten Streckenhäuschen brannte am letzten Arbeitstag nach Dienstschluß noch lange das Licht. Nachbarn feierten mit den Eisenbahnern den Abschied von der persönlichen Bedienung, die ihnen sicherlich über die Jahre manche Wartezeit beschert hatte. Heute erledigen automatische Lichtzeichenanlagen mit Halbschranken die Sicherungsaufgaben. Im Dezember 1991 wurden die Schrankenpostengebäude 40 und 41 abgerissen, obwohl es Interessenten gab, die sie gerne zu Wochenendhäuschen umfunktioniert hätten.
Für den Dienst der Schrankenwärter galt: Bevor ein Schrankenposten sich bei den Fahrdienstleitern zu beiden Seiten seiner Strecke dienstbereit meldet, hat er die Funktionstüchtigkeit seiner Schranken zu überprüfen. Wenn ein Drahtseil gerissen ist, ein heimtückischer Streich gespielt wurde oder ein Auto die Schranken demoliert hat, läßt sich das noch feststellen, bevor die ersten Züge fahren. Wenn ein Zug an einen ungesicherten Bahnübergang kommt, kann das unabsehbare Folgen haben. Manuelle Signalmittel des Schrankenwärters sind rote Flagge, Signalhorn, rote Lampe (batteriebetrieben). Sie hängen griffbereit im Wärterhäuschen. Nach der Überprüfung der Schrankenfunktion meldet sich der Wärter dienstbereit. Die Uhrzeit wird verglichen, das Fernsprechbuch, eine Art Dienst-Tagebuch, und der Fahrplan werden aufgeschlagen. Im Fahrplan stehen die Zugnummern, die erwartete Ankunftszeit, die von der Meldung bis zum Eintreffen am Schrankenposten benötigte Mindestfahrzeit sowie die Geschwindigkeit des Zuges. Das Streckentelefon klingelt, der Wärter nimmt den Hörer ab und meldet sich: "Posten xx". Der Fahrdienstleiter gibt durch: "Zug Nr. xxx voraussichtlich ab xxx". Der Wärter legt den Hörer wieder auf und hakt die Zugnummer ab. Unverzüglich tritt er aus seinem kleinen Büro an die Windenböcke und kurbelt die fern- und nahbedienten Schranken herunter. Die Schranke, die dem Zug am nächsten ist, wird immer zuerst heruntergelassen. Kurze Zeit später sieht man schon den Zug herannahen. Während der kurzen Vorbeifahrt achtet der Wärter auf etwaige nicht geschlossene Wagentüren, mangelnde Funktion der Bremsen und Schlußleuchten oder andere Unregelmäßigkeiten. Falls eine Unregelmäßigkeit vorliegt, wird sie telefonisch an die nächste Station durchgegeben. Nach der Vorbeifahrt des Zuges hat der Schrankenwärter erst einmal wieder Pause - bei Posten 43 bis zu einer Stunde. Dann meldet er sich beim Fahrdienstleiter ab, geht die paar hundert Meter bis zum Bahnhof Lette und pflegt dort die Anlagen. Er ist zuständig für die Sauberkeit des Bahnhofsgebäudes, ebenso für die Weichen, Schranken und Grundstücke im Bereich des Postens 43. Alles, was sich drehen soll, muß von Zeit zu Zeit geölt werden. Beschäftigungen wie Radiohören oder gar Fernsehen sind den Schrankenwärtern untersagt, damit sie ihre Aufmerksamkeit ungeteilt dem Bahnbetrieb widmen können. Die DB beabsichtigt, im Zuge von Rationalisierung und Automatisierung nach und nach sämtliche Schrankenwärterposten abzuschaffen und Drucktastenrelaistechnik an die Stelle der Wärter treten zu lassen bzw. Blinklicht- und Halbschrankenanlagen, die dann in Funktion treten, sobald ein Zug über den entsprechenden Kontakt gefahren ist.
Eisenbahner-Senioren aus Lette wissen allerlei zu erzählen:
Manchesmal trafen sich die Schrankenwärter und der Fahrdienstleiter im Bahnhof Lette zum Karten-Kloppen, wenn eine etwa eineinhalbstündige Zugpause dafür Zeit bot. Über dem intensiven Spiel verging die Zeit schnell, manchmal zu schnell, so wurde es bisweilen "höchste Eisenbahn" zur Rückkehr auf den jeweiligen Dienstposten. Da kam es im spielerischen Übereifer sogar gelegentlich zu Zugverspätungen von bis zu einer Viertelstunde, wenn z.B. die Schrankenwärter von Posten 43 und 44 nicht rechtzeitig zum Kurbeln wieder da waren...
Ein Neuling von Posten 44 konnte nach dem Spiel sogar einmal den Weg zu seinem eigentlichen Dienstort nicht wiederfinden und brauchte kollegiale Hilfe, um zum abgelegenen Schrankenposten zurückzugelangen. Für einen anderen Kartenspieler wurde es zeitlich sehr knapp, doch hatte er bei seinem Fahrrad einen Platten. "Dann nimm doch einen Drahtesel aus dem Fahrradverleih!" kam der kollegiale Rat. Gesagt, getan. Doch mit dem Leihrad hatte er auch kein Glück: bei Posten 43 bekam er den nächsten Platten. Fluchend mußte er das Zweitrad zum weiter entfernten Posten 44 schieben. Der Schrankenwärter hatte Verspätung und der Zug natürlich auch...